Sie steht schon mehr als ein halbes Leben lang in der Öffentlichkeit. Sie redet, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Verkörpert «Glaubwürdigkeit» seit zwanzig Jahren und damit lange, bevor der Begriff zum Schlagwort des Social-Media-Marketing wurde.
Willkommen im Reach, Melanie! Auch wenn du dir nicht ganz sicher bist, ob du jetzt ein Influencer bist oder nicht …
Ihr habt euch ja schon eure Gedanken gemacht, als ihr mich eingeladen habt! (lacht) Ich würde mich nicht als Influencer bezeichnen. «Influencer» gab’s ja schon immer … mitsamt den teils negativen Vorurteilen. Wir influencen doch alle.
Du stehst schon seit deinem 17. Lebensjahr, als du Miss Schweiz wurdest, im Rampenlicht. Bist du froh, dass es damals Instagram und Co. noch nicht gab?
Voll! Wobei mich neulich jemand gefragt hat, ob ich glaube, dass ich so eine Riesen-Influencerin gewesen wäre mit zwanzig. Das glaube ich wirklich nicht, weil ich mein Privatleben – mein Sohn, meine Wohnung, wohin ich in die Ferien gehe – sowieso nie mit der Öffentlichkeit geteilt habe. Früher war analog ein bisschen unser heutiges Social Media. Aber es ist schon cool, dass du heute selber entscheiden kannst, was und wie viel du von dir preisgeben willst.
Ich glaube, die öffentliche Wahrnehmung von Melanie Winiger war schon immer so, dass man das Gefühl hatte, dass du nicht der Typ bist, dem man sagen kann, was er zu tun hat …
(lacht) Das sagt lustigerweise meine Freundin Karina (Berger, ehemalige Organisatorin der Miss-Schweiz-Wahl, Anm. der Redaktion) auch. Ich wurde immer als frech betrachtet, aber ich bin mittlerweile so froh, dass ich mir in den Jahren den Mut genommen habe, zu sagen: «Genau bis hierhin und nicht weiter.» Ich wäre sonst untergegangen. Ich hätte mich selber kaputtgemacht.
Das ist doch ein Geschenk, wenn man das in so jungen Jahren schon kann?
Nur zum Teil. Aber es war nicht besonders toll, ständig zu hören, ich sei arrogant oder eingebildet. Das ist nur, weil ich eine Frau bin und mir das Recht genommen habe, Grenzen zu ziehen, und mir in gewissen Situationen nicht, auf Züridüütsch gesagt, «uf de Grind schiissä laa». Wenn das ein Typ gewesen wäre – und ich bin jetzt nicht die Art Feministin, die sagt «alle Männer runter und wir sind die Grössten», überhaupt nicht … aber unsere Gesellschaft macht ganz klar einen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Sage ich: «Diese Frage beantworte ich nicht», bin ich arrogant. Wenn das ein Mann sagt, wird es nicht mal erwähnt. Der steht einfach zu seinen Prinzipien und ist ein Gradliniger. Bei mir steht dann dafür, was ich anhatte oder ob ich müde ausgesehen habe.
Aber fällt dir auch auf, dass sich das in letzter Zeit stark verändert hat?
Ja, und das finde ich super. Ganz besonders online geht das echt nicht mehr … da kommentieren auch Kolleginnen von mir bei Online-Artikeln, dass es wirklich niemanden interessiert, wie ihre Frisur ausgesehen hat. Die kommen jetzt richtig an die Kasse. Es herrschen jetzt schon andere Zeiten.
Hast du das Gefühl, dass du jetzt, wo du mit Instagram und Co. nicht bloss zitiert wirst in Artikeln, sondern auch selbst direkt kommunizieren kannst, mehr von dir preisgibst als früher?
Ich nutze Instagram, um meine Einstellung zu zeigen – also auch für politische oder religiöse Aussagen – sowie um Dinge anzusprechen, bei denen mein Gerechtigkeitssinn rebelliert. Immer mit dem Bewusstsein: Das ist mein Kanal. Das ist meine Meinung. Und hier habe ich das Recht, meine Meinung zu teilen. Die Leute, die mir folgen, müssen intelligent genug sein, um zu verstehen, dass ich das jetzt nicht als «Gesetz» poste, sondern dass ich meine Meinung teile. Es ist vielleicht etwas, das ich schon von früher übernommen habe, denn ich habe in Interviews – ob mit 17, 30 oder 42 Jahren – immer klargestellt, dass das meine Haltung ist und dass ich danach lebe. Das ist auch auf Instagram so
Die Kehrseite davon ist, dass ich gelernt habe, manchmal meine Haltung nur für mich zu behalten. Zwar nicht, weil ich keine Angriffsfläche bieten will, sondern weil ich beim ganzen Hass und bei der Intoleranz, die im Moment kursieren, gar nicht Teil dieses Games sein möchte. Dieser Glaubens-Hickhack ist mir zu blöd. Wir sind alle Individuen und haben das gleiche Recht, uns in der Welt zu bewegen, und haben eine eigene Wahrnehmung. Mit der Einstellung versuche ich, durchs Leben zu gehen. Die Dinge, die ich poste, sind mir wichtig. Es sind vielleicht Dinge, die anderen Leuten einen Ansporn geben können oder eine andere Ansicht bieten. Aber nie mit Hass – dieses ganze Bullying und Kritisieren finde ich schon schlimm genug. Leb’ doch dein Leben und schau’ für dich!
Also «no bad vibes» in Melanies Welt?
Ich sage immer: Meine Währungen sind Zeit und Energie. Was es mich an Zeit kostet, mit jemanden auf eine Diskussion einzugehen, sei es nun online oder face to face, kostet mich zu viel, da ziehe ich mich zurück. Früher war ich total konfrontationsfreudig und habe mich sofort auf jeden Zwist eingelassen. Ich wollte sofort zeigen, was ich draufhabe. Das erkläre ich mir aber auch mit meiner Zeit als Miss Schweiz und in den Jahren danach, als ich immer das Gefühl hatte, ich müsse beweisen, dass ich nicht dumm und keine Tussi bin. Das ist mir jetzt einfach zu blöd, weil man danach keine Energie mehr hat und diese selber wieder aufbauen muss. Und dann habe ich verloren.
Hattest du immer das Gefühl, dass du genug Platz hattest, um selber zu wachsen?
Nein. Das ist nochmals was anderes. Auch wenn Corona ein krasser Schicksalsschlag für die ganze Menschheit war und ist, muss ich ganz ehrlich sagen, dass es mir gutgetan hat. Ich hatte das erste Mal, seit ich 17 Jahre alt bin, Zeit für mich. Ich sage immer, das war mein Sabbatical. Ich habe immer sehr reaktiv gelebt und kam dabei gar nie in eine Ruhezone, in der ich einfach mal verdauen konnte und mich fragen konnte, ob ich das überhaupt lässig finde. Will ich das überhaupt alles? Und was sind das für Menschen, die um mich herum sind? Bringen sie mir was, bringe ich ihnen was? Alle diese typischen «ich bin 40 geworden»-Fragen wurden mir quasi angeliefert. Ich glaube, ich hätte sonst einfach reaktiv weitergemacht.
Dieser Zwangsstopp hat wahrscheinlich vielen von uns gutgetan …
Ja, es hat die Routine aufgebrochen. Ob du jetzt unglücklich bist in einer Beziehung, ob dein Job dich nervt, ob du menschlich irgendwo an der Wand stehst und merkst, dass du dich in den letzten 10 oder 20 Jahren nie selbst konfrontiert hast … all diese Sachen sind einfach nicht mehr gegangen.
Jetzt wird’s richtig deep: War die Pandemie für dich eine Art Zünder, um Dinge zu verändern?
Ja, ganz klar. Ich habe Interessen gefunden, die mich ziemlich aufgerüttelt haben. Daraufhin habe ich Ausbildungen gemacht und etwas gefunden, in dem ich richtig gut bin und das mir richtig Spass macht. Ich fühle mich im Moment jedenfalls so, dass alles, was vor 40 geschah, einfach nur ein Vorlauf war, um mich zu diesem Punkt zu führen. Ich weiss jetzt, wofür ich hier bin.
Das hört sich extrem spannend an!
Keine Ahnung. Frag mich in fünf Jahren wieder, vielleicht ist dann alles anders. Ich weiss nur, dass es mir Freude bereitet und dass ich mich extrem verändert habe. Nicht in meinem Wesen, aber meine Lebenseinstellung hat sich sehr verändert, weil ich mich mit mir selber auseinandergesetzt habe.
Denkst du, dieser Veränderungsprozess wäre sowieso passiert, unabhängig von Corona?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe meine Berufung gefunden. Und nachdem ich so lange nur reagiert habe, von der Miss Schweiz zum Modeln, wenn man das so sagen kann … oder besser, zur «Repräsentationsarbeit» und Ambassadorship, Moderationen und Schauspielerei: Ich habe nichts davon aktiv gewählt. Jetzt soll das anders werden. Ich möchte mich weiterentwickeln und weiterkommen.
Was macht dich glücklich?
Liebe macht mich glücklich. Freundschaft. Das Meer. Feines Essen. Pferde machen mich extrem glücklich. Und nichts machen macht mich auch glücklich, genauso wie Netflix. Am See laufen gehen und wandern neuerdings auch. Musik, mein Sohn, Loyalität und Solidarität. Ehm, ich kann hier noch hundert Jahre weitermachen …
Das merken wir! Und worauf hast du keinen Bock mehr?
Auf verschwendete Zeit und verschwendete Energie. Das sind zwei Dinge, die ich nicht mehr akzeptiere in meinem Leben. Ich möchte lieber Energie tanken, ans Meer fahren … oder auch, wenn ich einfach bei mir und mit mir allein bin.
Das hört sich nach einem guten Plan an. Und zum Schluss: Das Jahr 2022 wird das Jahr …
… von Melanie! (lacht) Nein, wirklich! Das ist mir mehrfach gesagt worden: Wassermänner ganz allgemein. Freunde, irgendwelche Gurus, alle haben unabhängig voneinander gesagt, dass 2022 mein Jahr wird. Und die 22 ist auch noch meine Lieblingszahl. Da kann nichts schiefgehen. Und wenn doch, kann ich das auch handeln!